Freihandelsabkommen EU USA: „Freihandelsabkommen sofort stoppen“
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Frankfurter Rundschau | 04. MÄRZ 2014
FREIHANDELSABKOMMEN EU USA
„Freihandelsabkommen sofort stoppen“
IG-Metall-Chef Detlef Wetzel befürchtet Nachteile für Arbeitnehmer und Verbraucher, wenn EU und die USA eine Freihandelszone schaffen.
Es ist das gemeinsame Großprojekt der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten: Eine gemeinsame Freihandelszone, ein gemeinsamer Wirtschaftsraum soll geschaffen werden. Die Front der Gegner wird aber immer breiter. Nun meldet sich auch die größte Gewerkschaft der Welt zu Wort. IG-Metall-Chef Detlef Wetzel erklärt im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, warum er den sofortigen Stopp der Verhandlungen fordert.
Herr Wetzel, die Verhandlungen zu einer transatlantischen Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen EU und den USA laufen bereits seit einigen Monaten. Warum meldet sich die IG Metall jetzt zu Wort?
Die genauen Inhalte werden von einer kleinen Gruppe im Hinterzimmer verhandelt. Deshalb wollen wir, dass dieses Thema endlich in einer breiten Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient. Die Diskussion ist weder so richtig in den Parteien angekommen, noch in den Gewerkschaften oder bei den Arbeitgebern. Zweitens halten wir das Abkommen für gefährlich: Es hat keinen erkennbaren Nutzen, würde aber viel Schaden anrichten. Die Verhandlungen müssen gestoppt werden.
Sie vertreten Arbeitnehmer einer Branche, die vom Export abhängt. Doch laut Prognosen sollen gerade exportorientierte Unternehmen von dem Freihandelsabkommen profitieren. Die Bertelsmann Stiftung kommt in einer viel zitierten Studie zu dem Schluss: Das Abkommen schafft in Deutschland 160.000 neue Jobs, 85.000 davon im produzierenden Gewerbe.
Solche Prognosen sind doch Kaffeesatzleserei. Kein Mensch kann aus den geplanten Maßnahmen exakte Wachstumsziffern über Jahrzehnte herausrechnen. Zumal bei der Bertelsmann-Studie unseriöserweise nur Zuwächse berechnet wurden, mögliche Negativeffekte aber nicht.
In seiner Freizeit ist Wetzel Hobbyimker. Er ist verheiratet.
Hinzu kommt, dass dem Freihandel schon früher enorme Wachstumswirkungen angedichtet wurden – gehalten hat er die Versprechen nie. Aber selbst wenn die Prognosen zuträfen – der Zuwachs wäre lächerlich gering. In Deutschland arbeiten fünf Millionen Menschen im produzierenden Gewerbe. Da spielt ja das Wetter eine größere Rolle für die Beschäftigungswirkung als das Freihandelsabkommen.
Für die gesamte EU wird immerhin ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent vorausgesagt.
Das heißt doch: 0,5 Prozent Wachstum in 10 Jahren, das sind 0,05 Prozent pro Jahr. Ich bleibe dabei: Die Prognosen sind äußerst unsicher, die vorhergesagten Wirkungen mikroskopisch – und vor allem würden sie ungleich teuer erkauft.
Was meinen Sie damit?
Zum Beispiel die Pläne, Investoren weitreichende Schutzrechte zu gewähren.
Diese Schutzrechte sind derzeit von den Verhandlungen ausgeklammert worden…
…aber sie sind damit nicht vom Tisch. Und sie sind bedrohlich. Denn sie gäben ausländischen Investoren das Recht, gegen staatliche Entscheidungen zu klagen, die die Rentabilität ihrer Investitionen beeinträchtigen. So gibt es den Fall eines französischen Unternehmens, das gegen die Erhöhung des Mindestlohns in Ägypten angeht. In Deutschland klagt der schwedische Konzern Vattenfall gegen den Atomausstieg. Bekommen die Investoren recht, so müssen sie vom Steuerzahler entschädigt werden. Das ist teuer – und unterminiert die Demokratie und die staatliche Souveränität.
Aber staatliche Politik kann eine Investition tatsächlich unrentabel machen…
Natürlich, aber das ist ihr gutes Recht. Um es an einem plastischen Beispiel zu verdeutlichen: Die Abschaffung der Apartheid in Südafrika hat mit Sicherheit Investitionen verteuert, weil Ausbeutung nicht mehr wie vorher möglich war. Es wäre doch absurd, auf solche politischen Entscheidungen zu verzichten. Investorenschutzabkommen kann man mit Ländern mit unterentwickelten Rechtssystemen abschließen. So können Geldgeber vor entschädigungslosen Enteignungen geschützt werden. Schon die riesigen Investitionsvolumina zwischen der EU und den USA zeigen: Offensichtlich sind Investitionen in diesen Regionen gut vor willkürlichen Enteignungen geschützt. Es besteht von daher absolut kein Handlungsbedarf.
Wären Sie zufrieden, wenn die Investorenrechte weiterhin ausgeklammert blieben?
Nein. Denn wir haben den Eindruck, dass die Zielsetzung bei den Verhandlungen eine sehr absichtsvolle ist. Es scheint insgesamt darum zu gehen, Verfahrensregeln zu vereinfachen und Produkt-Standards abzusenken, nur um den Unternehmen Kosten zu sparen.
Offiziell geht es in den Verhandlungen nicht um Absenkung, sondern um die Angleichung unterschiedlicher Standards in Europa und den USA. Von daher könnte man doch dafür kämpfen, dass künftig die Regeln gelten, die die schärfsten Standards vorschreiben?
Es wäre zu schön, wenn das funktionieren würde. Wenn ein solcher Vertrag vorgelegt wird, würden wir unsere ablehnende Haltung noch einmal überprüfen. Wenn aber nur Schutzrechte für Verbraucher und Arbeitnehmer abgesenkt werden, sagt die IG Metall Nein. Aber darauf läuft es doch hinaus: Es geht ausschließlich um die Absenkung der Schutzmechanismen für Verbraucher und Arbeitnehmer.
Wieso wären Arbeitnehmer betroffen? Ihre Rechte sind nicht Bestandteil der Verhandlungen.
Der Druck würde sich mittelbar aufbauen. Denn Liberalisierung bringt immer eine Verschärfung des Wettbewerbs mit sich. Die Konkurrenz wird härter, in diesem Fall die Konkurrenz Europas mit den USA, wo die Arbeitnehmerrechte deutlich schwächer sind und die Gewerkschaften von der Politik teilweise massiv bekämpft werden. Und da ist dann schon sehr die Frage, ob beispielsweise die deutschen Regeln zur Mitbestimmung in einer Freihandelszone nicht angegriffen werden.
Das TTIP, heißt es, ist dennoch nötig, um Europa und die USA gegen die wachsende Macht der Schwellenländer zu stärken…
Das stützt meine Befürchtungen: In der künftigen EU-USA-Zone sollen Kosten und Standards auf ein Niveau abgesenkt werden, das mit dem chinesischen konkurrieren kann. Das kann doch niemand wollen. Wir sind daher für einen sofortigen Abbruch der Verhandlungen. Zunächst muss der gesamte Prozess transparent gemacht und die Folgen müssen abgeschätzt werden. Gegen den Abbau von Zöllen haben wir nichts, den kann man ja getrennt verhandeln und beschließen – wenn ein Staat der Ansicht ist, er könne auf die Einnahmen verzichten.
Sie fürchten einen Wettlauf nach unten. Tatsächlich scheint es diesen Wettlauf aber bereits zu geben, und zwar innerhalb der EU. Dort sind Arbeitnehmerrechte und Löhne im Zuge der Krise massiv unter Druck geraten, gerade in Südeuropa. Geplant sind weitere „Pakte für Wettbewerbsfähigkeit“ zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten. Geht von hier nicht der viel stärkere Druck auf die Arbeitnehmer aus?
Das stimmt. Wir wenden uns gegen diese Politik innerhalb der EU-Staaten und gegen die Liberalisierungs-Verhandlungen von EU und USA. Wir sehen hier auch eine Gelegenheit, um eine Debatte weiterzutreiben über gesellschaftliche Prioritäten: Ist Kostensenkung wirklich alles? Wollen wir – nur um Kosten zu senken – auf sichere Produkte, Umweltschutz, demokratische Verfahren, und soziale Leistungen verzichten? Weder innerhalb Europas noch beim TTIP dürfen Wenige zu Lasten von Vielen profitieren.
Interview: Stephan Kaufmann